Vertrauen oder Kontrolle? Mit vier Schritten zu guter Balance

Dieses Zitat wird häufig Lenin in die Schuhe geschoben. Im Führungskontext habe ich diesen Satz besonders dann gehört, wenn jemand frustriert war, und sich verächtlich über ein Teammitglied geäußert hat. Der Person sei einfach nicht zu trauen, da müsse man wie bei einem Kleinkind alles kontrollieren – oder selbst erledigen.

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

„Ich vertraue meinen Mitarbeitern voll und ganz.“

Andererseits sind viele Führungskräfte davon überzeugt, dass Vertrauen wesentlich für die Leistungsfähigkeit im Team ist. Manche sprechen ihren Mitarbeiterinnen sogar bedingungsloses Vertrauen aus.

Was sagt die Wissenschaft?

Interessanterweise war die Organisationspsychologie in Bezug auf Vertrauen lange Zeit eher skeptisch. Das ändert sich nun aufgrund der immer besser werdenden Faktenlage. So fasste eine Metastudie die Untersuchungen an 7.763 Teams zusammen und konnte eindrucksvoll belegen, dass das Vertrauen zwischen Teammitgliedern einen überdurchschnittlich hohen Einfluss auf die Teamperformance hat.

Schritt 1 – Was steht auf dem Spiel?

Wer hat nun recht? Ist Kontrolle oder Vertrauen das wirksamere Steuerungsprinzip? Nun, wie so oft lautet die Antwort „es kommt drauf an“. Sehen wir uns also an, worauf es genau ankommt.

Vertrauen wird oft als eine Art Gefühlszustand angesehen. In der Organisationsforschung wurde Vertrauen auch lange Zeit als Persönlichkeitseigenschaft gesehen: Vertrauen hat man, oder eben nicht.

Tatsächlich lebt Vertrauen im Beziehungsraum zwischen Menschen. Es mag überraschen, aber die in der Forschung weithin akzeptierte Definition lautet

Vertrauen ist die Bereitschaft Verletzlichkeit einzugehen in einer (Geschäfts-)beziehung.

  • Ich gehe eine Geschäftsbeziehung mit einem neuen Lieferanten ein. In Verhandlungen wurden die Leistungen definiert, die Chemie scheint auch zu stimmen. Und doch kann ich mir nicht 100% sicher sein, dass es klappen wird.
  • Einige Mitarbeiter möchten in Zukunft vermehrt von zuhause aus arbeiten, andere Mitarbeiterinnen möchten vorwiegend im Büro tätig sein. Vorkehrungen wurden getroffen, damit in hybriden Meetings die vor Ort und virtuell teilnehmenden Teammitglieder gleichberechtigt zusammenarbeiten können. Dennoch kann ich mir nicht 100% sicher sein, dass dieser Modus für meine Abteilung in der Praxis gut funktioniert.

Verantwortungsvolles Vertrauen blendet die Risiken nicht aus, sondern fragt nüchtern, mit der Haltung des Grundvertrauens: was könnte schlimmstenfalls passieren? Und wie hoch ist die Eintrittswahrscheinlichkeit dafür?

Schritt 2 – Wie steht es um die Vertrauenswürdigkeit der anderen Person?

Wie schätzen wir die Vertrauenswürdigkeit anderer Personen ein? In ihrem wegweisenden Artikel beschreiben David Schoorman, Roger Mayer und James Davies drei Dimensionen:

  1. Kompetenz: Ist die Person für diese Aufgabe kompetent?
  2. Integrität: Ist dies eine Person mit Prinzipien, hält sie sich an ihre Prinzipien, und stimme ich mit ihren Prinzipien überein? Tut sie was sie sagt?
  3. Wohlwollen: Ist mir die Person wohlgesonnen, mag sie mich, kümmert sie sich um mich?

Die Vertrauenswürdigkeit schätze ich also sowohl mit mit meinem Kopf (kognitiv, faktenbasiert) als auch mit meinem Bauchgefühl (affektiv, beziehungsbasiert) ein.

Schritt 3 – Wie ticke ich vertrauensmäßig?

Vertrauen hängt aber auch davon ab, wie vertrauensvoll ich auf andere Personen blicke. Mein Grundvertrauen ist dabei von drei Faktoren abhängig:

  1. Persönlichkeitsstruktur: Manche Menschen sind eher misstrauisch, andere eher vertrauensvoll.
  2. Bisherigen Erfahrungen in ähnlichen Situationen: Wenn ich als Führungskraft bisher eher positive Erfahrungen gemacht habe, etwa mit der Bereitschaft von Mitarbeitern, Selbstverantwortung zu übernehmen, dann werde ich einer solchen Situation mit mehr Zuversicht begegnen, als wenn mein Vertrauen gerade enttäuscht wurde.
  3. Kulturelle Prägungen: Das kann man zum Beispiel sehr gut erleben an den unterschiedlichen Arten, geschäftliche Verhandlungen abzuwickeln: In manchen Regionen der Welt ist es wichtig, zunächst gemeinsam Essen zu gehen und sich näher kennen zu lernen, bevor man in konkrete Verhandlungen über Fakten tritt. Hier wird das Vertrauen also beziehungsbasiert aufgebaut. In Europa und den USA wird es hingegen häufig als sinnvoll angesehen, zunächst die Eckdaten des Vertrags zu prüfen, um dann zu sehen, ob es sich überhaupt lohnt, eine persönliche Beziehung aufzubauen. Hier wird das Vertrauen also faktenbasiert aufgebaut.

Wenn ich von der anderen Person noch sehr wenig weiß, dann ist mein Grundvertrauen der entscheidende Faktor für das Vertrauensniveau. Je mehr ich die andere Person kennen lerne, umso stärker wirkt dann die differenzierte Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit hinein. Meist laufen diese Bewertungen unbewusst ab. Gerade in neuartigen Situationen ist es sinnvoll, die unbewussten Entscheidungsschritte ins Bewusstsein zu holen, um sie kritisch zu prüfen und zu hinterfragen.

Schritt 4 – Vertrauen oder Kontrolle, oder ein bisschen von beidem?

Nachdem ich nun das Risiko, die Vertrauenswürdigkeit der anderen Person, sowie mein Grundvertrauen beleuchtet habe, kann ich diese Faktoren in Beziehung zueinander setzen, indem ich sie mir als die Füllhöhe eines Gefäßes vorstelle.

Kontrollmodus – engmaschige Kontrollen sichern die Ergebnisqualität

Wenn das eingeschätzte Risiko sehr hoch ist, und das Vertrauensniveau bei weitem übersteigt, dann macht es Sinn, mit engmaschigen Kontrollen zu arbeiten, um die Qualität der Arbeitsergebnisse sicher zu stellen.

Kontrollmodus

Kontrolle ist als Steuerungssystem vor allem dann geeignet, wenn die Arbeit standardisiert ist, wenig Eigeninitiative und Kreativität benötigt und die Aufgaben im Team eher unabhängig sind, d.h. ein Teammitglied ist kaum darauf angewiesen, mit anderen zusammen zu arbeiten, um die Arbeit zu erledigen.

Ein Nachteil des Kontrollmodus ist der hohe Energieaufwand. Der empfundene Vorteil des Kontrollmodus ist hingegen, dass ich keine Kontrolle abgeben muss, mich also nicht verletzlich mache.

Dieser kurzfristige Gewinn, scheinbar alles unter Kontrolle zu haben, kann dazu verleiten, sich mehr Verantwortung aufzuladen, als man eigentlich bewältigen kann. Mikromanagement ist nicht nur für die Mitarbeiterinnen demotivierend, es kann auch dazu führen, dass man vor lauter Konzentration auf die Details den Überblick, und damit auch die Steuerungsfähigkeit, verliert.

Vertrauensmodus – die Arbeit wird gut erledigt ohne den Mitarbeitern dabei andauernd über die Schulter zu sehen

Wenn das Vertrauen hoch ist, und das eingeschätzte Risiko deutlich darunter liegt, dann macht der viel effektivere Vertrauensmodus Sinn. Als Führungskraft kann ich dann zuversichtlich sein, dass die Mitarbeiterinnen auch wenn ich gerade nicht vor Ort bin, ihre Arbeit bestmöglich erledigen, und sich im Fall von Schwierigkeiten melden.

Im Vertrauensmodus bin ich mir bewusst, dass mein Vertrauen fallweise auch enttäuscht werden wird. Dennoch ist dieses Steuerungsprinzip bei geringem Risiko auf lange Sicht der erfolgversprechendere Weg.

Gerade bei Aufgaben, bei denen neue Wege beschritten werden sollen, und wo die Abhängigkeit der Aufgaben hoch ist, da ist Vertrauen als Steuerungsmodus überlegen. Das belegen neuere Forschungen eindrucksvoll.

Was tun in Mischsituationen?

Bisweilen kommt es vor, dass das Vertrauensniveau grundsätzlich hoch ist, aber aufgrund einer speziellen Situation ein besonders hohes Risikoniveau besteht.

Beispielsweise wenn ich in einer heiklen Phase einer Produkteinführung, auf Grund einer Geschäftsreise abwesend bin, und das Team nicht vor Ort unterstützen kann. In diesem Fall empfiehlt es sich mit dem Vertrauensmodus zu arbeiten, und gezielt dort Kontrollen einzusetzen, wo die Vertrauenslücke überbrückt werden soll.

Gerade wenn im Team auch klar kommuniziert ist, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freie Hand haben, und in welchen Bereichen eine enge Absprache notwendig ist, dann klappt dieser Mischmodus gut.

In diesem Fall nutze ich die energiesparende Steuerungsvariante des Vertrauens und ergänze nur dort, wo es mir als Führungsverantwortliche erforderlich scheint.

Und wie steht es nun mit Lenin und seinem Verhältnis zu Kontrolle und Vertrauen? Vermutlich dürfte er ein Russisches Sprichwort geschätzt haben, das da lautet: Dowjerjaj, no prowjerjaj: „Vertraue, aber prüfe nach.“ Der Volksmund scheint also genau diese situativ angemessene Balance von Kontrolle und Vertrauen zu kennen und zu schätzen.

Foto: mari lezhava auf Unsplash

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