So gelingen Veränderungsprozesse – zwei Dimensionen führen zum Erfolg

Veränderungsvorhaben kosten viel Zeit, Geld und Aufmerksamkeit. Was ist zu beachten, damit sie diesen Aufwand auch wert sind? Als Organisationsberaterin begleite ich Unternehmen in Change-Prozessen und erlebe die Herausforderungen hautnah: da sollen die Außendienstmitarbeiter einer Region in einem neugeformten Team zusammen arbeiten, dort geht es um eine strategische Neuausrichtung eines Industrieunternehmens, eine Bank möchte agile Arbeitsmethoden einführen. Mittlerweile gibt zum Glück schon robuste Forschungsergebnisse zu kritischen Erfolgsfaktoren bei Veränderungsvorhaben.

Die erste Dimension: klare Zielvorstellungen

Klingt zwar banal, aber in der Praxis erlebe ich hier oft diffuse Hoffnungen anstelle von Zielen. Wichtig ist also, Klarheit zu haben im Unternehmen über folgende Fragen

  • Was soll verändert werden?
  • Was ist danach anders und warum ist das wichtig?

Erst wenn nachvollziehbar ist, wohin die Reise gehen soll, und wofür das Sinn macht, kann eine gemeinschaftliche Motivation für diese Aufgabe entstehen.

Selbst wenn das Ziel unterwegs noch verändert oder nachgeschärft wird: ein klare Zielvorstellung ist die Voraussetzung, dass überhaupt Verantwortung für die Zielerreichung übernommen werden kann, und man Schritt für Schritt daran arbeiten kann, die Lücke zu schließen zwischen dem Status quo und wo man als Unternehmen hin will.

Die zweite Dimension: für eine Atmosphäre sorgen, in der das Neue angstfrei erkundet werden kann

Diese zweite Dimension ist zwar erklärungsbedürftig, aber durch die organisationspsychologische Forschung der letzten beiden Jahrzehnte gut abgesichert. Amy Edmondson von der Harvard Business School nennt diese Eigenschaft psychologische Sicherheit.

Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz zeigt sich folgendermaßen:

  • Mitarbeiter trauen sich zu, Bedenken und Fehler zu teilen, ohne Angst vor Beschämung oder Vergeltungsmaßnahmen zu haben.
  • Sie sind zuversichtlich, dass sie sich zu Wort melden können und nicht gedemütigt, ignoriert oder beschuldigt werden.
  • Sie wissen, dass sie Fragen stellen können, wenn sie sich über etwas nicht sicher sind.
  • Sie vertrauen ihren Kollegen und respektieren sie.

Wieso taucht diese zweite Dimension erst jetzt auf? Das ist kein Zufall, denn Psychologische Sicherheit ist gerade dort von Bedeutung, wo die zu erledigende Arbeit von Unsicherheit und wechselseitiger Abhängigkeit geprägt ist.

Ein wichtiger Unterschied: Routinearbeit versus komplexe Veränderungen umsetzen

Ob also diese zweite Dimension, die psychologische Sicherheit von entscheidender Bedeutung für das Arbeitsergebnis ist, hängt von der Art der Arbeit ab. Mit den Kernaufgaben des Unternehmens wird das Geld verdient, dafür haben die Mitarbeiter Expertise, Erfahrung, dafür gibt es existierende Geschäftsprozesse. Komplexe Veränderungen umzusetzen, z.B. neue Organisationsstrukturen und Formen der Zusammenarbeit zu etablieren, Strategieentwicklung, Qualitätsmanagement, die Einführung neuer Geschäftsprozesse, da betritt man als Unternehmen Neuland, bewegt sich also auf noch unsicherem Terrain. Meist arbeitet man auch viel interdisziplinärer und ist in seinem Arbeitsergebnis stark von den Beiträgen anderer abhängig. Während bei Routineaufgaben also die Herausforderung darin liegt, ein gleichbleibendes Niveau von Exzellenz zu halten, es hier also um die fehlerfreie Umsetzung dreht, geht es bei komplexen Veränderungsvorhaben darum, Neues zu lernen. Die Herausforderung bei Veränderungsvorhaben ist also eine andere: anstatt der perfekten Umsetzung geht es um einen Lernprozess auf Team- und Unternehmensebene.

Weiche Faktoren führen zu harten Ergebnissen

Edmondson und ihre Kollegin studierten 23 verschiedene Qualitätsmanagementprojekte in Neonatologieabteilungen (also Abteilungen, in denen Frühgeborene und kranke Neugeborene behandelt werden). Solche Qualitätsmanagementprojekte stellen zwar eine Belastung im Arbeitsalltag dar, weil für die Mitarbeiter meist zusätzlich zum Routinejob noch Veränderungsarbeit zu leisten ist. Andererseits ist der Erfolg solcher Initiativen wichtig für die Entwicklung und Innovation der Einrichtung. Gerade eine Verbesserung der Qualität ist selten durch eine Optimierung von Einzelleistungen erzielbar, sondern entsteht aus dem Zusammenwirken vieler Personen aus unterschiedlichen Abteilungen und Berufsgruppen.

Die Forscherinnen beobachteten, dass die von Mitarbeitern empfundene psychologische Sicherheit status- und hierarchieabhängig ist.

Datenquelle schematisiert aus Nembhard, Ingrid & Edmondson, Amy. (2006). Making It Safe: The Effects of Leader Inclusiveness and Professional Status on Psychological Safety and Improvement Efforts in Health Care Teams. Journal of Organizational Behavior. 27. 941 - 966. 10.1002/job.413.

Das überrascht nicht. Allerdings wird dadurch für Führungskräfte eine wichtige Fallgrube sichtbar: Denn es ist eben problematisch davon auszugehen, dass alle so empfinden wie ich selbst.

Allerdings fanden die  Forscherinnen ein messbares Verhalten, dass diese Statusunterschiede in der empfundenen psychologischen Sicherheit weitgehend beseitigte: inklusive Führung, d.h. es war beobachtbar, dass die Führungskraft alle Mitarbeiter unabhängig von ihrer Hierarchieebene immer wieder aktiv dazu einlud, zum Diskussionsprozess beizutragen, Fragen stellte, spezifische Expertise einholte. Bei wenig inklusiver Führung fragen also nur Menschen mit hohem Status nach oder äußern Bedenken, bei inklusiver Führung tun das hingegen alle Mitarbeiter.

Datenquelle schematisiert aus Nembhard, Ingrid & Edmondson, Amy. (2006). Making It Safe: The Effects of Leader Inclusiveness and Professional Status on Psychological Safety and Improvement Efforts in Health Care Teams. Journal of Organizational Behavior. 27. 941 - 966. 10.1002/job.413.

Wenn sich alle beteiligen statt wenigen ist das ja ganz nett, aber ist das wirklich von Bedeutung? Der empirische Befund spricht eine klare Sprache: Höhere psychologische Sicherheit führte zu mehr Engagement in den Qualitätsmanagementprojekten während der Projektlaufzeit.

Datenquelle schematisiert aus https://www.youtube.com/watch?v=b395WrEQbeU

Drei Jahre nach Abschluss des Veränderungsprojekts wiesen Abteilungen mit inklusiver Führung (und somit geringen Hierarchieunterschieden in der psychologischen Sicherheit) eine 18% geringere Sterblichkeitsrate auf im Vergleich zu den Fachabteilungen ohne inklusiver Führung. In diesem Fall rettete die Befindlichkeit der Mitarbeiter ein paar Jahre später ganz konkret das Leben von Säuglingen.

Drei Schritten für mehr psychologische Sicherheit (und damit für ein erfolgreiches Veränderungsprojekt)

Schritt 1: Stellen Sie das Veränderungsvorhaben für Ihre Mitarbeiter als Lernaufgabe dar

Es ist entscheidend, dass Sie die Erwartungen an dieses Veränderungsvorhaben klar definieren: im Gegensatz zu Routineaufgaben, bei der fehlerfreie Umsetzung gefragt ist, geht es hier darum Neues zu lernen. Wenn man als Unternehmen Neuland betritt, dann braucht es dazu kontrolliertes Experimentieren. Fehler zu machen, sich zu verirren, all das ist bei dieser Aufgabenart Teil des Lernprozesses. Ohne dieses explizite Framing ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Veränderungsvorhaben im Stil einer Routineaufgabe abgearbeitet wird, nämlich im Fehlervermeidungsmodus, der für diese Aufgabe nicht angemessen ist.

Schritt 2: Laden Sie aktiv zur Mitgestaltung ein

Im Alltag hilft es, Mitarbeiter aktiv nach ihren Ansichten zu befragen. Sich also als Führungskraft bewusst darum zu kümmern die Standpunkte und Expertise alle Mitarbeiter miteinzubeziehen.

Gerade in Unternehmen mit hohem Harmoniebedürfnis ist es günstig, mögliche Kritikpunkte sichtbar zu machen, aber in ritualisierter und entpersonalisierter Form, wie das zum Beispiel beim Ritual Dissent Verfahren der Fall ist.

Schritt 3: Don’t shoot the messenger – Seien Sie freundlich zu Überbringern unangenehmer Nachrichten

Wir alle führen meist unterbewusst eine ständige Risikokalkulation durch, wenn wir uns in der Gegenwart anderer Menschen befinden. Dabei wägen wir zwei Risiken gegeneinander ab:

  • Das Risiko herabgesetzt oder beschimpft zu werden.
    Zum Beispiel wenn ich Bedenken anmelde in Bezug auf eine wichtige strategische Entscheidung, obwohl alle anderen Geschäftsleitungsmitglieder zumindest offen vor Optimismus sprühen.
    Zum Beispiel wenn es sich um eine unangenehme Nachricht handelt, etwa dass ein Mitarbeiter Geld aus der Kasse entwendet.
  • Das Risiko, dass die erwünschte Zukunft nicht eintritt oder die Zukunft des Unternehmens sogar gefährdet ist.
    Zum Beispiel, dass eine strategische Fehlentscheidung getroffen wird nur weil niemand dem Optimismus des Eigentümers widersprechen möchte.
    Zum Beispiel, dass der Diebstahl stillschweigend geduldet wird, immer größere Ausmaße annimmt und schließlich den Fortbestand des Unternehmens gefährdet.

Dabei unterliegen wir alle einer Verzerrung der Risikogewichtung in Form der sogenannten „Diskontierung der Zukunft“:

  • Die eigentlich wichtigere Frage der positiven Zukunftsentwicklung wird untergewichtet, weil die Folgen erst in der Zukunft spürbar werden.
  • Möglichen Reaktion der Kollegen und der Vorgesetzten werden übergewichtet, weil die Folgen sofort spürbar sind.

Besonders als Führungskraft ist es wesentlich, dieser Verzerrung entgegenzuwirken und bewusst darauf zu achten:

  • Bedenken einen angemessenen Raum zu geben, und dennoch handlungsfähig zu bleiben.
  • Mitarbeitern gute Gründe für Ihre Bedenken zu unterstellen, und aus dieser Haltung heraus zu handelt. Eine Person, die ihr Misstrauen verstecken möchte, fällt meist dadurch auf, dass die verbale Botschaft (also die verwendeten Worte) nicht deckungsgleich ist mit den nonverbalen Signalen (also der Körpersprache). Diese Unstimmigkeit wird meist nur unterbewusst wahrgenommen.
  • Sich bei unangenehmen Nachrichten beim Überbringer der Nachricht zu bedanken.

Bildquelle: iStock, skynesher
Cartoon: www.businessillustrator.com, Virpi Oinonen

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