Problemlösung: Novizen und Experten lösen anders

Angehende Führungskräfte sind oft Experten in ihrem eigenen Fachbereichaber noch Novizen im Bereich der Führung. Im folgenden Beitrag möchte ich drei Aspekte zeigen in denen sich Experten von Novizen unterscheiden und Beispiele aus meiner Arbeit mit angehenden Führungskräften bringen.

1) Experten nutzen ihr Wissen effektiver als Novizen

Gegenüberstellung

Expertise-Studien zeigen dass Novizen noch keine aussagekräftigen Muster entwickelt haben, um relevante Informationen aus dem neuen Wissensbereich zu verarbeiten. Sie nehmen nur geringe Informationsmengen wahr und fühlen sich dennoch oft von der Informationsflut überfordert. Ein Beispiel: Im Rahmen eines Lernangebots zum Thema Konflikte gebe ich einen Theorie-Input und bitte die Teilnehmer für die nächsten drei Wochen alle Konflikte im persönlichen Umfeld zu notieren. So gut wie jedes Mal fragt eine Person: Was ist, wenn ich während dieser drei Wochen keinen Konflikt erlebe?” Obwohl diese Novizen das gleiche theoretische Wissen wie ihre erfahrenen Kollegen zur Verfügung haben, können sie diese Informationen nicht nutzen, weil sie noch keine Wahrnehmungs-Muster zur Erkennung von Konflikten gebildet haben. Nach einer Woche Beobachtungsperiode bemerken die angehenden Führungskräfte mehr und mehr Konfliktsituationen um sie herum. Diese Sensibilisierung ist wertvoll für die Führungspraxis: so können Konflikte erkannt und geklärt werden noch bevor sie große Wellen schlagen. Indem die angehenden Führungskräfte Konfliktsituationen in ihrem eigenen Arbeitsumfeld beobachten, wenden sie das neu erworbene Wissen an und erzeugen dabei Wahrnehmungs-Muster; kurzum sie betrachten ihre Umgebung durch eine neue “Expertenlinse”.

2) Experten sehen und lösen andere Probleme als Novizen in der gleichen Situation

Führungskräfte-Novizen haben zwar oft viel Wissen über Management und Führung absorbiert. Sie haben dieses Wissen allerdings noch nicht neu organisiert. Bei Novizen ist das Wissen noch in derselben Struktur abgespeichert, in der sie vermittelt wurde. Experten hingegen haben sich das Wissen “zu eigen gemacht”, sie haben das Wissen neu strukturiert und nach relevanten Kernbegriffen der eigenen Arbeitsumgebung abgespeichert.

Novizen sehen etwa in folgenden Fragestellungen

  • “Wie kann ich einer Mitarbeiterin sagen, dass ich mit ihrer Leistung nicht zufrieden bin?” und
  • “Wie kann ich um eine Gehaltserhöhung oder Beförderung bitten?”

keinerlei Verbindung, da die Themen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich wirken. Experten hingegen suchen nach weniger offensichtlichen Merkmalen von Problemstellungen und könnten diese Fragen beispielsweise als “schwierige Gespräche” klassifizieren: beiden Fragestellungen ist gemeinsam, dass die Betroffenen dabei wesentlich mehr denken und fühlen als sie sagen. Experten analysieren Probleme daher auf einer höheren Abstraktionsebene. Das Eisbergmodell der Organisation von Peter Senge stellt diese unterschiedlichen Arten der Problembeschreibung dar und zeigt Möglichkeiten auf, wie man die Problembeschreibung auf eine höhere Abstraktionsebene heben kann. An dieser Stelle kommt das kreative Denken ins Spiel. Kreativität ist definiert als die Fähigkeit scheinbar nicht zusammenhängende Fakten und Ideen zu kombinieren, um etwas Neues und Nützliches zu schaffen. Denken in höheren Abstraktionsebenen ermöglicht diesen Kombinationsprozess; mehr Lösungsvarianten werden sichtbar, wir stärken den Zugang zu unserem kreatives Denken.

Novizen vertrauen noch nicht so sehr auf  ihre eigene Problemlösungsfähigkeit in dem neuen Bereich. Sie haben daher ein hohes Bedürfnis nach Bestätigung. Da liegt es nahe, die Lösung so rasch wie möglich umzusetzen, um zu sehen ob es geklappt hat, oder nicht. Novizen springen daher schnell zur Lösung ohne sich Zeit zu nehmen, um die Situation erst einmal zu verstehen. Experten hingegen verwenden mehr Zeit, um zu verstehen um welche Art Problem es sich handelt, benötigen aber insgesamt für den Problemlösungsprozess weniger Zeit als Novizen.


3) Experten betreiben aktive Qualitätssicherung, Novizen sind noch nicht bereit für eine Plausibilitätsprüfung

Novizen finden es schwer genug, überhaupt eine Lösung  für ein Problem zu finden. Ihr Verstand ist viel zu beschäftigt, um mehre Lösungsvorschläge in Betracht zu ziehen. Experten haben ihr Wissen effektiv organisiert, somit strengen sie sich wenig an bei der Lösungssuche und ziehen mehrere Lösungsalternativen in Betracht.

Während Novizen vollauf mit der Problemlösung an sich ausgelastet sind, haben Experten noch Kapazitäten frei, um nach Mängeln in ihrem Denken und Verstehen zu suchen. Damit betreiben Experten aktive Qualitätssicherung und lernen kontinuierlich dazu. Experten sind sich im Gegensatz zu Novizen auch besser bewusst, wann es an der Zeit ist, Annahmen zu hinterfragen oder gar das Vorgehen zu ändern. Novizen tun sich auf Grund der hohen Denklast schwer, vom ausgewählten Pfad abzuweichen, selbst wenn es deutliche Signale dafür gibt, dass der Weg wenig aussichtsreich ist.

Eine gute Möglichkeit, um das noch schwach ausgeprägte Qualitätssicherungssystem bei Novizen zu stärken ist, von den Herausforderungen in der täglichen Arbeit in einer angenehmen und nicht wertenden Umgebung zu erzählen. Ich habe beobachtet, dass Novizen sehr wohl in der Lage sind, Mängel und Beschränkungen in den Schlussfolgerungen anderer wahrzunehmen, weil sie das Problem aus der Vogelperspektive betrachten. Fragestellungen im Rahmen einer Intervisionsgruppe auszutauschen oder einzeln mit einem Mentor zu bearbeiten sind effektive Wege um Novizen zu helfen, ihre Qualitätssicherungssyteme zu entwickeln.

Als Experten gelten übrigens Personen, die in einem bestimmten Gebiet Probleme besonders effektiv lösen. Neben reflektierter Praxis braucht es für die Entwicklung vom Novizentum zum Expertentum vor allem Zeit. Schätzungen belaufen sich auf etwa 10.000 Stunden Praxis beziehungsweise 7 bis 10 Jahre Arbeitserfahrung in dem entsprechenden Gebiet.

Weiterführende Literatur:

Bransford et al. (2000); How People Learn: Brain, Mind, Experience, and School: Expanded Edition. The National Academies Press, Washington DC.

Bildquelle: iStock/gilaxia

Nach oben scrollen