Kreativitätslücke – Wenn Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen

Kreativität wird immer wieder als wesentliche wichtige Eigenschaft genannt (so zum Beispiel in der IBM Global CEO Studie). Die tägliche Realität in Unternehmen sieht jedoch anders aus: hier scheint Kreativität wenig gefragt und schon gar nicht gefördert zu werden. Wieso liegen Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinander?

Kreativitätslücke – was ist das?

Die Kreativitätslücke kann auf zwei verschiedene Arten definiert werden:

  1. Die von Adobe durchgeführte State of Create Studie zeigte: 80% der Befragten sind der Meinung „die vorhandene Kreativität freizusetzen ist entscheidend für das Wirtschaftswachstum“. Jedoch nur 25% sind davon überzeugt, dass sie ihr kreatives Potential auch tatsächlich verwirklichen. Einfach gesagt: es existiert eine deutliche Kluft zwischen unserem Wunsch nach Kreativität und unserer tagtäglichen Arbeitspraxis.
  2. Trudy DiLiello and Jeffery Houghton haben die Kreativitätslücke genauer untersucht und fanden heraus, dass kreative Menschen ihre Kreativität nicht notwendigerweise am Arbeitsplatz einsetzen:

„Wenn ein Mensch den Eindruck hat, eine Arbeitsumgebung beschränkt oder ermutigt kreative Ausdrucksmöglichkeiten nicht, dann kann sich eine Kluft entwickeln zwischen dem persönlichen kreativen Potenzial und dem tatsächlichen Ausmaß an Kreativität, das diese Person zeigt. Diese Kluft zwischen kreativem Potenzial und kreativer Praxis kann wichtige ungenutzte Ressourcen darstellen, gerade wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit einer Organisation zu erhalten im härter werdenden Wirtschaftsumfeld von heute.“

Wie entsteht die Kreativitätslücke?

 1) Kreativität wird zum unerreichbaren Idealbild stilisiert

Barry Staw, ein Professor für Leadership und  Kommunikation an der Northwestern University hat – obwohl er sich sich selbst ein Leben lang mit Kreativität beschäftigt hat – einen provokoativen Artikel verfasst mit dem Titel „Warum niemand wirklich Kreativität haben möchte“ (Why no one really wants creativity). Darin fordert er uns auf, „unsere Vorstellungen von Kreativität zu dämpfen und die heiße Luft aus den Phrasen herauszulassen, die in vielen Büchern und Texten über Kreativität zu finden sind“:

„Der Begriff Kreativität hat einen schönen Klang und fast alle denken, er sei etwas Gutes; aber wenige Menschen oder Organisationen wollen wirklich Kreativität. Wenn sie es gut überdenken, wenn die damit verbundenen Prozesse und Kosten klar gemacht werden, neigen Personen und Unternehmen dazu von einem Einsatz der Kreativität Abstand zu nehmen.“

Ist unser Wunsch nach Kreativität nur eine vorübergehende Modeerscheinung? Sollten wir lieber aufhören, nach Kreativität zu streben nur weil sie in einem Unternehmenskontext so schwierig zu realisieren scheint? Obwohl ich ebenfalls der Meinung bin, dass unsere Erwartungen an Kreativität zum Teil unrealistisch hoch sind, gebe ich zu bedenken, dass Staw seinen Artikel 1995 verfasste. Seither haben einige hochinteressante Forschungsergebnisse gezeigt, dass die Kreativitätslücke nicht nur extistiert sondern auch verkleinert werden kann.

2) Kreativität am Arbeitsplatz wird wenig gefördert oder unterstützt

Trudy DiLiello and Jeffery Houghton haben untersucht, wie sich das soziale Umfeld auf die kreative Motivation auswirkt. Dabei erhoben die sie die empfundene Unterstützung für Kreativität auf drei verschiedenen Ebenen:

  • Förderung und Unterstützung der Kreativität durch Führungspersonen: Mitarbeiter nehmen ihre Führungspersonen als unterstützend wahr, wenn sie gute Vorbilder darstellen, das Engagement von Mitarbeitern würdigen und Vertrauen in ihre Arbeitsgruppe zeigen. Unterstützende Führungspersonen sind auch in der Lage eine klare Richtung aufzuzeigen ohne einschränkend zu wirken.
  • Förderung und Unterstützung der Kreativität durch die Arbeitsgruppe: Mitarbeiter empfinden die Arbeitsgruppe unterstützend, wenn die Gruppenmitglieder „über unterschiedliche Hintergründe verfügen, offen für neue Ideen sind, sich gegenseitig konstruktiv herausfordern können, effektiv kommunizieren und Feedback geben können, erfolgreich Konflikte bewältigen, einander vertrauen und helfen und bereit sind, sich für die gemeinsame Arbeit einzusetzen.“
  • Förderung und Unterstützung der Kreativität auf Unternehmensebene: Mitarbeiter nehmen das Unternehmen als unterstützend wahr, wenn Autonomie ermutigt wird, gutes Projektmanagement existiert und genügend Ressourcen vorhanden sind. Aus Fehlern zu lernen sowie Mechanismen um neue Ideen zu berücksichtigen sind ebenfalls wichtige Elemente wahrgenommener Unterstützung auf Unternehmensebene.

DiLiello und Houghton fanden heraus, dass Mitarbeiter ihre kreativen Fähigkeiten mit viel höherer Wahrscheinlichkeit dann einsetzten, wenn sie sich durch ihre Arbeitsgruppe und ihre Vorgesetzten unterstützt fühlten. Dieser Effekt war sogar noch höher für Menschen mit hohem Selbstvertrauen in ihre Kreativität. Umgekehrt bedeutet das, dass in einem Umfeld, in dem Kreativität nicht unterstützt wird, die Kreativitätslücke – als die Kluft zwischen potenzieller und praktizierter Kreativität – besonders groß ist für kreative Menschen. Diese Ergebnisse helfen uns zu verstehen, warum Einzelmaßnahmen wie Kreativitätstrainings oder das Einstellen von kreativen Einzelpersonen nur wenig bewirken um die kreative Problemlösungsfähigkeit im Gesamtunternehmen zu erhöhen. Vielmehr sollten Führungskräfte ein Klima schaffen, in dem Menschen nicht nur ihre eigenen kreativen Fähigkeiten entwickeln können sondern sich auch dabei wohl fühlen, diese Fähigkeiten im täglichen Arbeitsleben einzusetzen.

3) Den Mitarbeitern fehlen die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten um Probleme kreativ zu lösen

Eine Kreativitätslücke kann auch dadurch entstehen, dass Führungskräfte zwar von der Bedeutung der Kreativität für die Leistungsfähigkeit des Unterehmens überzeugt sind, aber nicht wissen wie sie ihr Team zu kreativem Arbeiten begeistern können. Neben dem sozialen Umfeld hat Teresa Amabile weitere drei Faktoren auf der individuellen Ebene identifiziert, die eine Voraussetzung für kreatives Problemlösen darstellen. Diese sind

  • Bereichsrelevante Fähigkeiten: Wissen, Kompetenz und Fertigkeiten im Fachbereich, in dem die kreative Problemlösung stattfindet
  • Kreativitätsrelevante Prozesse: diese beinhalten Persönlichkeitsmerkmale wie Unabhängigkeit und Risikobereitschaft, sowie Methoden um neue Ideen zu generieren und Probleme aus ungewohnten Perspektiven zu betrachten
  • Intrinsische Aufgabenmotivation: die Motivation an einer Aufgabe zu arbeiten, weil sie interessant, faszinierend und herausfordernd ist, oder Spaß macht

Im nachstehenden Video erzählt David Hall von seinen Erfahrungen eine Organisation in einem stark regulierten Umfeld zu transformieren von einem bürokratisch-autoritären Führungsstil hin zu einem kreativitätsfördernden Führungsstil. Hall zeigt wie Kreativität nicht nur intern eine effektive Art zu arbeiten darstellt, sondern sich zusehends auch zu einem wesentlichen Differenzierungsmerkmal gegenüber dem Mitbewerb entwickelt. Er definiert Wandel in Organisationen als einen fortwährenden Kommunikationsprozess:

„Ich wollte, dass 100% der Mitarbeiter neue und nützliche Ideen entwickeln. Was nicht funktioniert ist, diese Mitarbeiter beim Kragen zu packen und zu sagen ‚Du musst dich verändern!‘ Man muss sie vielmehr dazu verleiten, dass sie verstehen wie sie sich ändern können und wie es ihr Leben langfristig verbessert.“

Weiterführende Literatur:

State of Create“ Studie von Adobe, veröffentlicht im April 2012

Gobal CEO study 2010, Studie von IBM, veröffentlicht im Mai 2010

Staw, B.M (1995) Why no one really wants creativity. In C.M. Ford & D. A. Gioia (Eds.). Creative Action in Organizations: Ivory Tower Visions and Real World Voices. Sage Publications.

DiLiello, T.C, Houghton, J.D, Dawley, D (2011) Narrowing the Creativity Gap: The Moderating Effects of Perceived Support for Creativity. Journal of Psychology, 145 (3), pp. 151-172

DiLiello, T.C, Houghton, J.D (2008) Creative Potential an Practised Creativity: Identifying Untapped Creativity in Organzations. Creativity and Innovation Management, 17 (1), pp. 37-46

DiLiello, T.C, Houghton, J.D (2006) Maximizing organizational leadership capacity for the future: Toward a model of self-leadership, innovation and creativity. Journal of Managerial Psychology, 21 (4), pp. 319-337

Bildquelle: iStock/georgeclerk

Nach oben scrollen