Aufmerksamkeit und Achtsamkeit – Die überraschende Quelle hervorragender Leistungen


Otto Scharmer sagt: die Qualität unserer Aufmerksamkeit beeinflusst die Qualität unserer Ergebnisse in einer Organisation. Ein ungewöhnlicher Gedanke in der westlichen Managementwelt. Wie funktioniert das? Während Scharmer in seiner U-Theorie einen praktikablen Weg aufzeigt, um die Qualität der Aufmerksamkeit in Organisationen zu steigern, möchte ich in diesem Artikel mögliche psychologische Mechanismen erkunden, die hinter dieser Beziehung stecken.


Otto Scharmers kausale Kette

Die Qualität der Aufmerksamkeit führt zu einer besseren Beziehungsqualität, die wiederum die Arbeitsergebnisse positiv beeinflusst.

Otto Scharmer stellt fest, dass es trotz der Vielfalt an Managementliteratur eine weitgehend unbekannte Dimension gibt:

„Der blinde Fleck im Denken gegenwärtiger Führungskräfte ist, dass sie alles darüber wissen was Führungskräfte tun und wie sie es tun – aber nichts über die Quellebene, das heißt der innere Ort oder der Zustand der Aufmerksamkeit von dem aus Führungskräfte und soziale Systeme arbeiten.“

Otto Scharmer stellt dann die folgende kausale Kette auf:

 „Die Qualität der Ergebnisse in einem System hängt von der Qualität der Beziehungen zwischen den Akteuren in einem System ab, und die Qualität der Beziehungen hängt von der Qualität der Aufmerksamkeit ab mit der die Akteure arbeiten.“

Scharmer behauptet nun, dass die Quelle unseres Handelns, unser blinder Fleck, der aussichtsreichste Ort für Veränderung ist, da dies der einzige Ansatzpunkt ist, den wir selbst unter Kontrolle haben. Die anderen Elemente der Kausalkette – Beziehungen und Ergebnisse – werden durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt, von denen die meisten außerhalb unseres Einflusses liegen.


Wie Achtsamkeit die Beziehungsqualität in Organisationen beeinflusst

Individuelle Ebene: Achtsamkeitspraxis steigert die soziale Kompetenz

Shauna Shapiro und Ihre KollegInnen erforschen Achtsamkeit aus einer klinisch psychologischen Perspektive. Sie interessieren sich speziell für die Entwicklung von Achtsamkeit durch Meditation. Aus ihrer Sicht besteht Achtsamkeit aus drei dynamisch in Beziehung stehenden Komponenten:

  • Absicht: eine persönliche Vision haben, der Grund warum man meditiert
  • Haltung: Qualitäten, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken; Eigenschaften wie Güte, Offenheit und Neugierde kultivieren Gelassenheit und Akzeptanz
  • Aufmerksamkeit: sich den ursprünglichen Erfahrungen zuwenden anstelle die Erfahrungen zu interpretieren und dadurch zu den Inhalten unseres Bewusstseins vorzudringen (Otto Scharmers Quellebene)

Achtsamkeitspraxis führt zu einem grundlegenden Perspektivenwechsel, den Shapiro et al. (2006) „Reperzeption“ (reperception) nennen:

„Reperzeption kann als eine Rotation im Bewusstsein beschrieben werden, indem das was vorher ‚Subjekt‘ war zum ‚Objekt‘ gemacht wird. Dieser Perspektivenwechsel (das Subjekt zum Objekt machen) wird von Entwicklungspsychologen als Schlüssel zu Wachstum und Entwicklung über die gesamte Lebensspanne hinweg gesehen.“

Wir sind in der Lage die Inhalte unseres Bewusstseins – Gedanken, Emotionen und körperliche Empfindungen – von einer Metaebene aus zu betrachten und gewinnen dadurch an Klarheit und Perspektive.

Shapiro et al. (2006) gehen davon aus, dass Achtsamkeit und Reperzeption weitere Mechanismen unterstützen:

  • Selbstregulierung, Selbstmanagement: die Fähigkeit ausgeglichen zu bleiben „trotz unangenehmer interner Zustände und weniger beherrscht zu sein durch bestimmte Gedanken oder Gefühle“
  • Flexibilität im Denken, Fühlen und Verhalten: die individuell „wahrgenommene Fähigkeit die Umgebung zu gestalten“, Individuen sind in der Lage sich eine Umgebung zu suchen, zu schaffen oder zu modifizieren, die ihren Bedürfnissen entspricht“
  • Werteklärung: „die persönliche Erkenntnis, was im Leben wertvoll und wesentlich ist“
  • Kontakt zu sich selbst: „die Bereitschaft sich auch unangenehmen internen Erfahrungen zu stellen“

Diese Beziehungen wurden großteils in einer späteren Studie durch Carmody et al. (2009) bestätigt, von der auch die obigen Definitionen entnommen sind.

Die vier oben angeführten Mechanismen überlappen sich mit Definitionen von sozialer Kompetenz und emotionaler Intelligenz – Fertigkeiten, von denen angenommen wird, dass sie dem Aufbau guter zwischenmenschlicher Beziehungen dienen.

Organisationsebene: Achtsamkeit führt zu hoher Funktionsicherheit und Zuverlässigkeit

Karl Weick und Kathleen Sutcliffe erforschten Hochsicherheitsorganisationen wie Atomkraftwerke, Flughäfen oder Krankenhäuser und beobachteten dass Mitarbeiter dort anders dachten und handelten als Mitarbeiter gewöhnlicher Unternehmen. Weick schuf den Begriff der „kollektiven Achtsamkeit“ um die allgemeine Einstellung von Mitarbeitern in einer erfolgreichen Hochsicherheitsumgebung zu beschreiben. Hier wird die Kultivierung der Achtsamkeit ohne Bezug auf Meditation beschrieben:

„Achtsamkeit ist eine geistige Ausrichtung die fortwährend die Umgebung auswertet – im Gegensatz zur Achtlosigkeit wo eine einfache Einschätzung zur Wahl eines Plans führt, der bis zum Abschluss weiterverfolgt wird. Achtsamkeit spürt kleine Fehler und Störungen auf, widersteht groben Vereinfachungen, bleibt sensibel für betriebliche Abläufe, erhält sich eine hohe Resilienzfähigkeit indem sie flexibel bleibt und nutzt die Orte des jeweils größten Sachverstandes.“

Weick und Sutcliffe stellen folgende Kausalkette auf:

Wie Beziehungensqualität die Unternehmensperformance beeinflusst

Jody Hoffer Gittel untersuchte Abflugprozesse auf Flughäfen und wollte herausfinden, welchen Einfluss operative Mitarbeiter auf die Unternehmensleistung haben. Sie entdeckte, dass die Gesprächsqualität im Unternehmen in einem direkten Zusammenhang mit der Unternehmensperformance steht. Die Gesprächsqualität ist wiederum von der Qualität der Beziehungen zwischen den Mitarbeitern abhängig. Hoffer Gittel und Kollegen nannten dieses Phänomen “Beziehungskoordination” (Relational Coordination) und untersuchten es in vielen weiteren Wirtschaftssektoren. Dabei stellten sie das folgende Modell auf:

Der Forschungsgruppe Relational Coordination Research Collaborative zufolge erzeugen gute Beziehungen ein Gefühl von Sicherheit. In einer solchen Atmosphäre schaffen gute Gespräche einen Raum für gemeinsames Lernen.

Auf der Organisationsebene beschreibt Peter Senge dies als die Lernende Organisation:

“…Organisationen in denen Menschen kontinuierlich ihre Fähigkeiten erweitern, das zu erreichen, was sie wirklich anstreben, in denen neue und übergreifende Denkmuster gefördert werden, in denen nach gemeinsamen Zielen gestrebt wird, und in denen Menschen fortwährend lernen, gemeinsam Zusammenhänge zu erkennen.”

Springen wir nochmal zu Scharmers ursprünglicher Aussage zurück, dass die Qualität unserer Aufmerksamkeit die Qualität unserer Ergebnisse beeinflusst: Normalerweise wissen wir nicht sehr viel über unsere Aufmerksamkeit und deshalb nennt Scharmer dies den Blinden Fleck der Führung. Um die Ergebnisse in unseren Organisationen zu verbessern, ist es an der Zeit, unserer Aufmerksamkeit mehr Aufmerksamkeit zu schenken.


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Bildquelle: iStock/Yagi-Studio

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